Heinz Forstinger berichtet
In unserer überkultivierten Umwelt ist der Artenrückgang in allen drei Klassen deutlich zu erkennen.
Alleine im eigenen Garten ist das leicht feststellbar. Bei den Vögeln zum Beispiel ist der Spatz noch ständiger Gast bei mir, auch die Amsel, sowie Türken- und Ringeltaube. Aber wo ist die Goldammer, das Rotkehlchen oder der Grünling, um nur drei zu nennen. Blumen dürfen bei mir „tun was sie wollen“, daher mangelt es mir daran nicht (Abb.1). Ständig wird Toleranz eingefordert – üben wir sie auch an den Gästen in uneren Gärten, egal ob es Tiere, Pflanzen oder Pilze sind. Ein gelegentliches Auftauchen einer Ratte verursacht auch bei meiner Frau keine Panik, Wespen stören nicht, Erdbienen und Hummeln sind willkommen, Moos erfreut durch sein Grün auch im trostlosen Winter. Die ersten Frühlingsblüher sind eine Freude, und auch der Riesenbärenklau hat schon einmal eine Höhe von zwei Metern erreicht. Schaue ich aber bloß über den Gartenzaun auf die sechsmahdige Wiese meines bäuerlichen Nachbarn, dann erinnert es eher an eine „Prärie“. Daneben liegt ein Maiacker, er setzt die Tristesse fort. Die Mostbirnbäume sind veschwunden, schon lange.
Lange waren die Pilze im System unter den Pflanzen gereiht,
aber da paßten sie mitnichten hin. Die Art wie diese leben, ist so ganz und gar anders. Die heterotrophe Ernährungsweise, die Fortpflanzung durch Sporen usw. führten dazu, daß neben den zwei Klassen der Tiere und Pflanzen eine dritte Klasse errichtet wurde, die der FUNGA, der Pilze. Die Wichtigkeit und Aufgabe derselben ist eine Wesentliche – sie sorgen für den Abbau der organischen Stoffe; sie „schließen den Kreis“.
Die Zahl der Pilze, hier wird nur auf die „höheren“ Pilze eingegangen,
das sind die, die man gemeinhin als solche wahrnimmt, sie werden laienhaft als Schwammerl bezeichnet, ist immens. Allein für Mitteleuropa werden etwa 2500 Arten angegeben. Ihre Lebensräume sind, bedingt durch unterschiedliche Anforderungen, mannigfaltig. Wo immer organische Substanzen vorkommen, sind die Pilze nicht weit. Drei Haupternährungsweisen lassen sich abgrenzen: symbiotisch, saprophytisch und parasitisch.
Wie sind aber davon die Pilze betroffen?
Nun, unter den höheren Pilzen gibt es viele Arten, die sich an ganz bestimmte Habitate angepaßt haben. Verschwinden die, dann sind auch die Pilze weg. Der Rückgang von Magerwiesen führt unmittelbar zum Seltenwerden von Arten dieses Lebensraumes. Saftlinge, Ellerlinge, Rötlinge haben in einer übergüllten Wiese keine Chance mehr. Kleine Rückzugsgebiete für solche Arten sind noch dort und da die Straßenböschungen, aber bei diesen ist das Artenspektrum schon sehr eingeschränkt. Ein Lebensraum, der immer einen großen Artenreichtum aufwies, waren Feldraine an Wald- und Gebüschrändern. Durch das immer größer und stärker Werden der Traktoren ist jetzt ein sehr nahes Heranackern möglich.Oft kann man dort kaum mehr gehen, außer in gebückter Haltung. Dort und da bemerkt man armdicke Wurzeln, die von den vielscharigen Pflügen aus dem Boden gerissen wurden. Die Obstbäume, die dort gepflanzt worden waren, sind lange gerodet, der Hase hat den Platz für seine Sasse verloren und der Fasan den für sein Gelege. Die Bäume am Waldrand sind oft meterhoch von der Gülle bedeckt, die durch die Druckfässer ausgebracht wird. Mellioriert wird ja schon seit langem, daher sind wenig ertragreiche Feuchtwiesen weitgehend verschwunden. Pilzarten, die auf diese Lebensräume angewiesen sind, waren natürlich auch Opfer dieser Eingriffe. Bei Pilzen ist der Artenrückgang kaum zu bemerken. Zum Unterschied von Blütenpflanzen sind die Mycelien ja nicht zu sehen, und die Fruchtkörper erscheinen oft selten und wenn, dann meist nur für kurze Zeit. In manchen Jahren und bei ungünstiger Witterung bleiben sie ganz aus. Außerdem, wer registriert und achtet denn auf das Vorkommen von Pilzarten, wenn sie nicht eine gewisse Größe haben und noch dazu Speisepilze sind - kaum jemand. Und daher fehlen sie auch nicht.
Der Wiesenchampignon
ist einer der letzten in den gedüngten Flächen, er ist soszusagen der „Spatz“ unter den Pilzen. Der Rückgang der Weidewiesen hat mehrere Ursachen. Früher gab es viele kleinere Landwirtschaften mit dementsprechend kleinem Viehbestand. Großflächiger Getreideanbau war nicht möglich. „Sacherl“ sind inzwischen fast ganz verschwunden. Die Obstgärten rund um die Höfe sind weg oder sehr verkleinert. Welcher Bauer braucht noch Birnbäume für den Haustrunk, wenn er kein Gesinde mehr hat. Ähnlich verhält es sich mit den Zwetschkenbäumen; Schnaps brennen hautsächlich Ambitionierte. Eine nicht unbedeutende Zahl von Wiesenflächen wird und wurde großflächig zugebaut . Erstaunlich daran ist, nebenbei bemerkt, daß diese geopferten landwitschaftlichen Gründe in bestbearbeitbarer Lage liegen. Eine Fahrt entlang von Bundesstraßen zeigt das Ausmaß dieser Entwicklung. Waren es ehemals Flächen, die nahe von Städten lagen, so haben sich diese deutlich vermehrt, die nahe von Autbahnanschlüssen liegen. Es sind also viele Faktoren für den starken Rückgang von Wiesenpilzen verantwortlich.
Ein für spezielle Pilzarten wichtiges Habitat
sind freistehende Bäume oder Baumgruppen und Alleen. So mancher alter, mächtiger Eichenriese ist verschwunden. Unter diesen fanden sich oft seltene Pilzarten, die mit diesen in Symbiose (Mykorrhiza) leben. Der Schatten, den sie spenden, schützt das Mycel vor dem Austrocknen; meist wurde dadurch auch der Moosbewuchs, der auch ein für Mycelien günstiges Kleinklima bedingt, vernichtet. Aber wie viele dieser mächtigen Baumgestalten sind nicht schon der besseren Bearbeitbarkeit zum Opfer gefallen. Auch Alleen haben durch mancherlei Gründe den Tod gefunden. Waren es Obstbäume, so war am Obstertrag kein Bedarf mehr, die Früchte verdarben auf der Fahrbahn und im Straßengraben. Außerdem störten auch sie die leichtere Bearbeitbarkeit der Flächen dahinter. Der Ausbau der Verkehrswege ist und war für so manche Allee der Todestoß. Wieviele habe ich nicht selbst verschwinden gesehen. So mancher interessante Pilzstandort war ehemals dort angesiedelt. Vorbei! Der Grund für das Vorkommen so mancher Pilzseltenheiten sind ähnlich wie bei den Einzelbäumen. Nach einem „Baummord“ blieben die Stümpfe früher noch lange erhalten und waren Substrat für Pilzsaprophyten und Insekten. In einem Park habe ich einmal einen etwa zehn Jahre alten Birkenstrumpf beobachtet, auf dem gleichzeitig zehn verschiedene Arten mit dutzenden Fruchtkörpern fruktifizierten! [ÖKO.L 16/1 (1994): 22-27)] Neuerdings beobachte ich immer öfter, daß die Baumstümpfe weggefräst werden, somit wird wieder ein wichtiger Lebensraum für die Artenvielfalt im Pilzreich weniger.
Über das „Bekämpfen“ von Mooren und anmoorigen Wiesen wurde schon viel geschrieben
und von Naturschützern dagegen lametiert und protestiert. Lange wurden solche Aktionen ignoriert. Die gezogenen Entwässerungsgräben sind Legion. Jetzt hat ein Umdenken eingesetzt und mit viel Aufwand werden Spundwände gesetzt, um noch zu retten, was zu retten ist. Aber es wird lange dauern, bis eine wirksame Renaturierung einsetzt. Es ist verständlich, daß ein so spezieller Lebensraum, wie es die Moore sind, eine hohe Anpassung von Pilzen bedingt. Viele Arten kann man nur in Mooren finden. In den Sumpfmoosbeständen (Sphagnen) kommen echte Raritäten vor, die nur an einigen Stellen in Österreich belegt sind. Die Moorbirke (Betula pubescens) lebt mit einigen Pilzarten abhängig voneinander zusammen. Auch diese Pilzarten sind daher nur dort zu finden, wo die Moorbirke vorkommt, und das sind eben Moore und anmoorige Flächen.
Der Wald wird zurecht mit Pilzvorkommen assoziiert.
Er ist die Vegetationsform, die den allermeisten Pilzarten als Lebensraum dient. Die schon erwähnte Mykorrhiza schafft den Ausstausch von Nährtoffen. Dabei haben sich sehr viele Abhängigkeiten entwickelt, die erstaunlich sind. Wenn man bedenkt, daß es Pilzarten gibt, die nur an fünfnadeligen Kiefern vorkommen, dann ist das eine exreme Anpassung. Ausschließlich unter der Zirbe (Pinus cembra) kommnt der Zirbenröhrling (Suillus plorans) vor; und genauso kapriziert ist der Elfenbeinröhrling (Suillus placidus) der nur die fünfnadelige Weymouthskiefer (Pinus strobus) als Partner akzeptiert. Dies sind nur zwei Beispiele für hunderte von Pilzarten, die gewisse Baumarten für ihr Gedeihen brauchen. Allerdings sind nicht alle so streng gebunden. Es gibt Abhängigkeiten von Laub- oder Nadelbäumen; ja manche können ihre Mycelien unter beiden Baumarten ausbilden. Unsere Wälder sind ja in ihrem Bestand nicht bedroht. Daß Monokulturen aus vielerlei Gründen nicht günstig sind, ist zu verstehen. Aber auch reine Fichtenbestände in artungünstigen Räumen sind lebensfähig. Auch ihre Partnerpilze sind dort zu finden. Allerdings sind viele Arten, die im natürlichen Lebensraum des Baumes vorkommen, nicht vorhanden. Anderes Klima und andere Böden mögen daran schuld sein. Was allerdings europaweit beobachtet wird, ist ein auffallender Rückgang von Arten, ja sogar Gattungsgruppen. In der Fachliteratur wird seit längerem ein Wenigerwerden der Haarschleierlinge (Cortinarien) beschrieben.
Eine Theorie läßt vermutet, daß ein vermehrter Stickstoffeintrag daran die Schuld trägt.
Wie auch immer, auch hier kommt es wahrscheinlich durch menschliche Aktivitäten zu einem Artenschwund. Leider stört dieses Artensterben nur wenige, denn wie schon erwähnt, Pilze werden so gut wie nicht wahrgenommen.
Das Holz unserer Wälder soll und muß genützt werden. Die Frage ist nur, wie. Daß Mischwälder stabiler gegen Schädlingsbefall sind, ist inzwischen anerkannt und es wird auch immer öfter in diese Richtung aufgeforstet. Die Holzernte ist eine Sache, die durch die Technisierung auch stark verändert wurde. Daß die schweren Erntemaschinen eine Belastung des Waldbodens darstellen, ist evident. Wie weit das Schäden im Ökosystem verursacht, kann ich nicht beurteilen. Immerhin hat der Wald nach der Aufforstung wieder Jahrzehnte Zeit sich zu regenerieren. Was zu fordern ist, ist der tolerante Umgang mit kranken, pilzgeschädigten Bäumen. Sie sollen als wichtige ökologische Elemente erhalten bleiben, einmal, weil sie dringend benötigte Bruthilfen für Höhlenbrüter und Insekten sind, zum zweiten aber auch der Pilze wegen, da sie für viele deren Lebensgrundlage bilden. Parasitische Pilzarten breiten sich ja nicht epidemisch aus; wenn in einem Buchenbestand zum Beispiel ein Baum vom Zunderpilz (Fomes fomentarius) befallen ist, so heißt das nicht, daß seine Nachbarn auch befallen werden.
Warum sich in einem Pilzmycel entwickelt und in dem anderen nicht,
wird sich nicht klären lassen. Ich kenne Bäume an Forststraßenrändern, die durch die Forstfahrzeuge schwere Rindenschäden aufweisen, die aber totzdem „kerngesund“ sind. Unweit davon dagegen steht ein Baum mit unversehrter Rinde, der zum Wirt für einen Baumschwamm wurde. Schont man einen Pilzwirt großzügig, so wird er in der Folge absterben, er wird ein wesentliches Element der Biodiversität. In weiterer Folge wird er stürzen und dann für wieder andere Lebewesen nutzbar sein. Je nach Pilzart, die seinen Tod verursacht hat, wachsen die Fruchtkörper noch einige Zeit auf der Leiche weiter. Schnell aber siedeln sich andere Arten, Saprophyten, an. Häufig sind es mehrere veschiedene Arten, je nach Zersetzungsgrad des Holzes. Manche Pilzarten finden ihre Lebensgrundlage im Initialstadium des Abbaus, manche treten erst im Finalstadium auf. Zwischen beiden Situationen läuft oft eine artenreiche Sukzession ab. Je nach Mächtigkeit des Totholzes können das dutzende Pilzarten sein, die sich im Laufe der Zeit einfinden. „Mächtigkeit“ ist das Stichwort, das darauf hinweist, daß sie von großer Wichtigkeit ist. Schwache Stämme und Äste werden ja öfter liegengelassen. Sie sind aber nur für eine eingeschränkte Zahl von Arten als Substrat geeignet. Bleiben aber starke Stämme liegen, was leider seltener erfolgt, dann bieten diese speziellen Pilzarten eine Lebensgrundlage. Man findet sie oft sehr selten nachgewiesen, logisch, bedingt doch Substratangebot das Vorhandensein der Holzzersetzer. Auf dieses Wirken der Zersetzer weise ich hier nochmals eindringlich hin – die Natur braucht sie.
Gartenbesitzer, macht aus euren Gärten das, was Konrad Lorenz seinem Garten zugestanden hat, eine „kontrollierte Wildnis“ zu sein.
Und ein überreich blühender Strauch, wie eine Kolkwitzia, kann vielen Bienen Nektar bieten. Ich halte mich daran, und mein Garten dankt es mir durch tiefe Einblicke in die Lebewelt – immerhin habe ich in meinem Garten schon über 120 Pilzarten nachgewiesen! Als Beispiel sei ein Austernseitling (Pleurotus ostratus) gezeigt (Abb.4), der über mehrere Jahre Fruchtkörper an einem liegengelassenem Zitterpappelstamm hervorbrachte. Daß er als guter Speisepilz in der Pfanne landete, gestehe ich ein.
Heinz Forstinger Abb. 2 Mykologe im Wald
Öko-L 41/3-4 ( 2019)